Knigge & Tango … darf ich bitten?!

von | 10.12.2023 | Kommunikation, Gesellschaft, Umgangsformen, Allgemein

Knigge und argentinischer Tango? Das passt scheinbar gar nicht zusammen. Und ob! Denn die Regeln, die offiziell beim Tango gelten, haben sehr viel mit dem „richtigen Umgang mit Menschen“ zu tun.

 

Tangokirche

Bild: Silke Freudenberg

 

„Man baut bei Fremden zuerst Blickkontakt auf, bevor man sie anspricht.“

Dieses Zitat stammt aus dem 1788 erschienenen Buch von Adolph Freiherr Knigge „Über den richtigen Umgang mit Menschen“. Und es könnte kaum besser in einen Anfängerkurs des argentinischen Tangos passen. Denn im Gegensatz zu den oft gesehenen Unarten des an die Schulter Klopfens und „Willst‘e tanzen“-Spruchs, ist das Vorgehen beim Tango sehr dezent. Möchte ein Herr eine Dame zum Tanz auffordern (oder umgekehrt), wird zunächst Blickkontakt aufgenommen. Fällt dieser auf Gegenseitigkeit, erfolgt ein leichtes Kopfnicken in Richtung der Tanzfläche. Sollte dies ebenfalls erwidert werden, gilt das als Abmachung, diese Tanzrunde – im Tango „Tanda“ genannt – gemeinsam auf dem Parkett zu begehen. Dann holt der Herr die Dame am Platz ab oder man trifft sich auf dem Weg am Rande der Tanzfläche. Sollte der Blickkontakt und das Kopfnicken nicht erwidert werden, ist dies ein dezentes und gleichzeitig klares Zeichen für eine Ablehnung. Der Vorteil: keiner der beiden verliert das Gesicht durch eine direkte Konfrontation oder einen „Korb“. Es ist eine feine Art zu sagen, dass man jetzt oder mit dieser Person nicht tanzen möchte.

 

„Man soll sich Frauen niemals aufdrängen.“

War die Annäherung per Blick und Kopfnicken positiv, nimmt dieses Zitat des Freiherrn Knigge und die zarte Vereinbarung der Tänzer ihren Lauf. Der Tango wird oft sehr eng getanzt – doch geht es auch mit Abstand zwischen den Körpern. Die entscheidende Person ist hier die Dame. Und der Herr tut gut daran, sein eigenes Sehnen oder Drängen zu zügeln, um die Dame nicht zu überrumpeln. Er sollte sich „niemals aufdrängen“ – ganz nach Knigge. Auf der anderen Seite sollte jedoch auch die Dame sich nicht an den Herrn hängen, wie an eine Tanzstange. Beide sollten ihren eigenen Raum, ihre Achse und ihre Bewegungen kontrollieren. Ist das nicht so, sagt die eine oder der andere schnell: „Tango mit mir? Kannste ‚kniggen‘!“

Im Tango geht es um das Spannungsfeld zwischen Nähe und Distanz. Beide Partner stehen für sich und sind dennoch als Paar vereint. Viel Empathie und Achtsamkeit wird benötigt, um auch den kleinsten Impuls des Gegenübers zu spüren und darauf zu reagieren. Es geht um Führen und Folgen und ist dennoch mit Gleichberechtigung verbunden. Das Paar bewegt sich in den Grenzen, die für beide in Ordnung sind – tänzerisch und physisch. Wenn der Herr der Dame ihren Raum lässt, kann sie sich entfalten – und umgekehrt.

Liegt allein darin nicht schon eine große Lebensweisheit im Umgang mit Menschen?!

 

„Enthülle nie auf unedle Art die Schwächen Deiner Nebenmenschen, um Dich zu erheben. Ziehe nicht ihre Fehler und Verirrungen an das Tageslicht, um auf ihre Unkosten zu schimmern.“

Auch dieses Zitat des Freiherrn Knigge ist tango-relevant. Respekt- und verständnisvoller Umgang des Tanzpaars miteinander und mit anderen Paaren wird großgeschrieben. Alle folgen einer Tanzrichtung. Es sollte nicht überholt oder gedrängelt werden. Braucht ein voraustanzendes Paar mehr Zeit, müssen die nachfolgenden warten und können die Zeit mit Figuren auf kleiner Fläche überbrücken.

Unterschiedliche Tanzstile, Niveaus, Traditionen beim Auffordern und der Partnerwahl sollten respektiert werden. Es gibt viele Gründe, warum wer mit wem und zu welchem Tango tanzen möchte. Letztendlich sind alle mit dem Ziel da, einen schönen Abend zu verbringen!

 

„Die Dankbarkeit ist ein Gefühl, welches das Herz veredelt und bessert, wohltätig für den, der empfängt, wie für den, welcher gibt.“

Die schöne Atmosphäre einer Tango-Veranstaltung, genannt „Milonga“, sowie der Brauch, die Tanzpartner immer wieder zu wechseln, ermöglicht nicht nur vielfältiges Tanzen, sondern auch das Kennenlernen verschiedenster Menschen. Der Tango ist das Bindeglied zwischen ihnen. Marian Wahl, Besitzer der Tangokirche „La Boca“ in Petite-Rosselle (Frankreich) und leidenschaftlicher „Tanguero“ beschreibt es so: „Tango ist Respekt, Anstand und wertschätzender Umgang miteinander auf der Tanzfläche. Diesen Umgang in der heutigen Gesellschaft zu stärken, ist mir ein Herzensanliegen“. Und die Dankbarkeit für einen gelungenen Tango, bei dem die Schwingung – der „flow“ – zwischen dem Paar entsteht, ist etwas Wunderbares.

 

Fazit

Die Begegnungen mit Menschen können schön und bereichernd sein. So sagte es auch ein Zeitgenosse Knigges, Wilhelm von Humboldt (1767-1835): „Im Grunde sind es immer die Verbindungen mit Menschen, die dem Leben seinen Wert geben“.

Vielleicht war Adolph Freiherr Knigge (1752–1796) seiner Zeit voraus, und auch dem Tango, der erst im 19. Jahrhundert seinen Aufschwung erfuhr und 2009 zum UNESCO-Weltkulturerbe ernannt wurde. Auf jeden Fall sind die Worte Knigges noch heute aktuell und beschreiben treffend den Umgang der Paare miteinander – auf und neben dem Parkett.

Und wer den argentinischen Tango kennenlernen möchte, sollte sich auf seine hinreißende Musik und die verschmelzenden Schritte einlassen. Dann heißt es „darf ich zu diesem Tango bitten“ – mit Blickkontakt, dezent und wertschätzend im besten Sinne Knigges!


Silke Freudenberg

Silke Freudenberg ist Event-Expertin, zertifizierte Protokoll-Managerin und Coach. Seit über 20 Jahren unterstützt sie bundesweit Unternehmen und Einzelpersonen bei der Veranstaltungsorganisation, bei professionellen Auftritten sowie persönlichen und beruflichen Weichenstellungen.

Sie ist Vorbild-Unternehmerin des Bundeswirtschaftsministeriums für die Initiative „FRAUEN unternehmen“.

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