Siezen Sie noch oder duzt Du schon? – Teil 1

von | 13.04.2024 | Allgemein, Werte, Kommunikation, Etikette, Gesellschaft, Digitalisierung, Umgangsformen

Bild: Shutterstock

 

Ist die Unterscheidung zwischen Du und Sie heute noch angebracht, es duzt sich doch eh fast jeder, oder?

Die Unterscheidung zwischen Sie und Du behält auch heute ihre Bedeutung bei, da sie Respekt und Höflichkeit in zwischenmenschlichen Interaktionen vermittelt. Kommt man einer Person ungefragt zu nahe, kann dies als übergriffig wahrgenommen werden. Ähnlich wie es physische Distanzzonen gibt, existieren auch sprachliche Zonen. Die Frage ist aus meiner Wahrnehmung weniger, ob es noch eine Sie- und Du-Kultur geben sollte, als vielmehr, wie schnell der Wechsel zwischen den beiden sprachlichen Ebenen heute erfolgt.

Ein Sie ist nach wie vor die höflichste Form der Anrede, mit der wir einer Person begegnen, die wir noch nicht kennen.

Das Bekanntheits- und Vertrauensverhältnis entscheidet darüber, wann ich vom Sie zum Du wechseln möchte. Dabei handelt es sich sowohl um eine Charakter- aber auch Generationenfrage. Die junge Generation wächst mit zunehmend flacheren Hierarchien im Berufsleben auf. Homeoffice gehört zum neuen Normal, und die Grenzen zwischen Beruf und Privat verschwimmen zunehmend. Da verwundert es nicht, dass ein Sie durchaus früher durch ein Du ersetzt wird.

 

Was vermittelt ein Du, was ein Sie und ist eine wertschätzende Nähe auch mit Sie möglich, oder muss man dazu immer auf das Du wechseln? 

Der Kern von wertschätzender Nähe kann meiner Meinung nach nicht auf die Frage Du oder Sie reduziert werden, sondern entspringt der tiefen inneren Herzenshaltung, mit der wir anderen Personen begegnen. Wir geben einer Begegnung Bedeutung und Signifikanz, wenn wir uns wirklich für den Menschen interessieren. Das geht über die reine Kommunikationsebene weit hinaus. Wer dies beherzigt, kann auch auf der Sie-Ebene eine sehr innige und wertschätzende Freundschaft leben. Andersherum: Fehlt es an dieser Haltung des Herzens, wirkt selbst ein Du irgendwie gekünstelt. In der Regel werden bei einem Du-Angebot Attribute wie Sympathie, Freundschaft, Offenheit, Transparenz und Vertrauen unterstrichen.

 

Wie kann ich stilvoll auf das Du wechseln und wann ist dafür die richtige Zeit? 

Bevor Sie zum Du wechseln, sollten Sie Ihre Motivation reflektieren und sich im Klaren darüber sein, ob Sie sich damit wohlfühlen. Ist Ihnen die Person wirklich sympathisch, oder fühlen Sie sich dazu verpflichtet?

Um niemanden zu übergehen, muss der Wechsel vom Sie zum Du immer angeboten und angenommen werden.

 

Wie sieht es mit dem Du / Sie auf den Sozialen Medien aus? 

Hier ist die Verwirrung oft groß. Was ist richtig? Duzen, siezen oder doch lieber ein hybrider Lösungsansatz? So vielseitiger die Plattformen und ihre Zielgruppen sind, umso weniger gibt es eine allgemeinverbindliche Regel. Machen Sie sich vor einer Nachricht Gedanken über die jeweilige Kommunikationskultur der Plattform. Liegt der Fokus auf einem formellen oder informellen Austausch?

Folgende Empfehlungen dienen als Orientierungshilfe im Dschungel der Sozialen Medien:

  • Für Consumer-Plattformen wie Facebook, Instagram, bei denen der Fokus auf einer persönlichen Vernetzung liegt, ist das Duzen angemessen. TikTok richtet sich primär an die Generation Z, bei der das Duzen sogar erwartet wird. Auch bei Twitter ist eine förmliche Anrede unüblich, da die Plattform eine informelle Atmosphäre fördert.
  • Auf Business-Plattformen wie LinkedIn und Xing ist es angemessen, zunächst das förmliche “Sie” zu verwenden, besonders im Erstkontakt und bis eine engere Beziehung aufgebaut ist.
  • Bewerbern empfehle ich ebenfalls, im Anschreiben als auch im Interview zunächst beim stilvollen „Sie“ zu bleiben. Dies drückt Wertschätzung und eine höfliche Zurückhaltung aus.

Betonen Sie gutes Benehmen und Respekt in Ihrer Kommunikation auf geschäftlichen Plattformen, in dem Sie mit einer förmlichen Anrede beginnen, bevor Sie möglicherweise zum Du übergehen. Beachten Sie auch die individuellen Vorlieben und kulturellen Unterschiede Ihrer Zielgruppe, insbesondere wenn es um die Wahl zwischen Du und Sie geht. Eine Stellenausschreibung für die GenZ unterscheidet sich in der Ansprache sicherlich von der Einladung zu einer Podiumsdiskussion für Führungskräfte. Machen Sie sich mit der Erwartungshaltung zum Kommunikationsstil einer Plattform vertraut und zeigen Sie Sensibilität und Respekt für die Präferenzen der dort vertretenen Zielgruppe.

 

Versicherungen duzen seit einiger Zeit ihre Kunden bei automatisierten E-Mails einfach. Ist das geschickt? 

Wenn Versicherungen das Du auspacken, so geht es ihnen dabei erkennbar um eine zeitgemäße Kundenansprache und darum, das verstaubte Image loszuwerden, das die Versicherungsbranche in den Augen jüngerer Menschen hat. Das ist ihr gutes Recht, aber eben auch nicht mehr als Teil einer Marketing- und CI-Strategie. Bleiben Sie gelassen angesichts dieser Entwicklung, vorausgesetzt, der Service des Unternehmens leidet nicht unter der neuen Kommunikationskultur. Fast alle Firmen, die eine jüngere Zielgruppe ansprechen, verwenden inzwischen das instrumentelle Du im Geschäftsverkehr, vor allem in Werbung und Anwerbung, um sich „beliebt“ zu machen. Der Übergang zwischen locker-flockiger Ansprache und listigem Ranwanzen ist fließend.

Beachten sollte man: Mit dem Du bekommt man bei Vertragsschluss keinen besseren Tarif als mit dem Sie. Eher ließe sich vermuten, dass die Versicherung mit dem Du besser fährt, weil ihr weniger Skepsis entgegenschlägt und die Kundin, der Kunde womöglich schneller Ja und Amen sagt. Im Dialog mit dem Kundenberater dürfen Sie natürlich selbst entscheiden, wie Sie sich ansprechen lassen.

 

Darf mich mein Chef einfach duzen, aber von mir erwarten, dass ich Ihn sieze? 

Es ist durchaus ungewöhnlich und kann als inkonsequent wahrgenommen werden, wenn ein Chef seine Mitarbeiter duzt, aber gleichzeitig erwartet, dass sie ihn siezen. Eine derartige Diskrepanz in der Anrede kann dazu führen, dass Mitarbeiter das Gefühl haben, dass ein bewusstes Machtgefälle aufgebaut wird, um sich Respekt zu verschaffen und Autorität zu demonstrieren. Dies kann letztendlich die Arbeitsatmosphäre negativ beeinflussen und das Vertrauen der Mitarbeiter in die Führungsperson untergraben.

Besonders in einer Führungsposition ist es wichtig, eine klare und konsistente Kommunikationskultur zu pflegen, die auf Respekt und Wertschätzung basiert. Eine stilvolle und angemessene Kommunikation sollte immer auf Augenhöhe erfolgen, unabhängig von der Hierarchieebene. Daher ist es ratsam, entweder eine informellere Du-Form oder eine formellere Sie-Form für die gesamte Interaktion zu wählen, um eine einheitliche und vertrauensvolle Kommunikation in der Arbeitsumgebung zu fördern.

 

Was signalisieren wir mit dem ungefragten Du? Und was kommt bei dem anderen womöglich an?

Wertneutral formuliert, signalisieren wir mit einem ungefragten, nicht explizit verabredeten Du das Bedürfnis, eine soziale, zwischenmenschliche Barriere abzubauen. Wer allerdings sichergehen möchte, mit seinem Bedürfnis nicht alleine dazustehen und den anderen womöglich zu überfahren, sollte die Frage von Sie oder Du kurz thematisieren. So lassen sich Zwangsbeglückungen vermeiden, und das Gegenüber empfindet Wertschätzung.

Es ist ja durchaus möglich, dass dieses Gegenüber mit dem ungefragten Du glücklich ist und sich denkt: „wie nett, dass ich so viel Vertrauen genieße“. Dann ist das Ziel des Barriere-Abbaus erreicht. Doch nach wie vor legen Menschen, vor allem solche, die in der traditionellen Sie-Kultur großgeworden sind, Wert darauf, in der Anfangsphase des Kennenlernens eine gewisse Distanz zu wahren. Fühlen Menschen sich beim schnellen Du unwohl, denken womöglich: „das ist aber übergriffig“, so hat man das genaue Gegenteil von dem erreicht, was man wollte.

Ich empfehle: Bedenken Sie möglichst in jeder Situation den Kontext, die Kultur- und Generationszugehörigkeit der Person, mit der Sie sprechen, und überfahren Sie niemanden.

 

 

 


Dr. phil. Horst Launiger und Jonathan Lösel

Horst Lauinger studierte Geisteswissenschaften in Salzburg und Marburg an der Lahn. Im Jahr 2000 übernahm er die Leitung des Manesse Verlags in Zürich. Seit drei Jahrzehnten in der Buchbranche tätig, beschäftigt er sich tagtäglich mit klassischen Stilfragen im engeren und weiteren Sinne, also mit der Abwägung, welcher verbale oder nonverbale Ausdruck der jeweils angemessenste ist.

Fotocredit: Olaf Petersenn

Jonathan Lösel ist Vorsitzender des Deutschen Knigge-Rats und neben seiner Projektleitertätigkeit als Knigge- und Stil-Coach tätig.

Als moderner Gentleman unterstützt er Menschen dabei, ihren persönlichen Kleidungsstil zu entdecken und ihr Auftreten durch zeitgemäße Umgangsformen zu unterstreichen, sodass sie dauerhaft im Gedächtnis bleiben.

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