Gedenken und Kondolieren in Zeiten von Social Media

von | 24.06.2023 | Gesellschaft, Trauer, Umgangsformen

Gedenken

Tina Turner ist verstorben, mit 83 Jahren. Sie war ein Weltstar, von vielen gekannt und geschätzt. In der Tagespresse erschienen viele ausführliche und warmherzige und auch musikalisch fundierte Nachrufe auf sie. Einen Nachruf – das deutsche Wort ist so vielsagend – rufe ich jemandem hinterher, jemandem, der gestorben ist, nicht mehr am Leben ist, nicht mehr hören kann, was ich ihr oder ihm gerne noch gesagt hätte. Stattdessen hören oder lesen andere mit, und so ist die Person, die den Nachruf verfasst, nicht ganz allein, und auch die Nahestehenden der Verstorbenen werden durch die schönen Worte getröstet. Denn: de mortius nil nisi bene, oft übersetzt, von Toten solle nur Gutes gesprochen werden oder vielleicht feiner, von den Toten solle nur auf gute Weise gesprochen werden. Und es gibt viele hervorragende und berührende Nekrologe, die mitfühlen und anrühren. Da kann den Verfassenden gratuliert werden, auch in einem Kommentar. Doch immer wieder finden sich dann in den Kommentarspalten ein „R.I.P.“ (Rest in Peace, Ruhe in Frieden, kommt vom lat. Requiescat in Pace), gerne kombiniert mit einem gebrochenen Herz und einem weinenden Smiley.

Foto: Shutterstock

 

Nach Bekanntwerden von Tina Turners Tod haben etliche ein Bild von ihr in ihren aktuellen Status in einem der bekannten sozialen Media-Kanälen gepostet. Was will damit gesagt werden? Geht es darum, eine Nachricht zu verbreiten? Das wird doch Menschen, die online die Nachrichtenlage verfolgen, schon bekannt sein. Oder wird damit eher demonstriert, dass da jemand traurig ist? Doch trauern hier Menschen wirklich um Tina Turner? Das ist wohl eher ein Gedenken im Kollektiv, und auch das eher im Laufschritt. Ob es vergleichbar ist mit dem despektierlich bezeichneten Gerede oder Getratsche auf dem Dorfplatz, wo erzählt wird, wer gestorben ist oder wer mit wem was gemacht hat?! Und stellt es somit einen Vergewisserungsprozess dar, in dem jeder Mensch schauen kann, ob und wenn ja wie viele Menschen es ähnlich geht. Doch sind Posts und Statusfotos, die ja auch nur eine begrenzte Halbwertzeit haben vergleichbar beispielsweise mit dem Blumenmeer, das nach dem Tod von Lady Di vor dem Kensington Palast in London entstand?

Dies kann vermutet und auch bezweifelt werden. Ein besinnliches Gedenken bedarf der Zeit und funktioniert nicht im Vorbeigehen. Daher die Frage, wie denn Gedenken und Kondolieren, Trauern und Beistand in den komplexen parasozialen Beziehungen der neuen Medien gut gelingen kann, guttun kann.

Andenken

Soziale Medien sind auf Klick-Zahlen aus, je mehr, desto besser, auf die Qualität des Kontaktes wird nicht so sehr geschaut. So entsteht ein Geplapper, dessen Aussagekraft, in Kenntnis und Wahrhaftigkeit, eher gegenläufig zur Klickfrequenz steht.

Berühmten Personen, Celebrities gedenken ist eine Sache, doch wie kann es gut gehen bei Menschen im echten, realen Umfeld und der Familie?! Und wie weit reicht das?

Der Begriff der Pietät wird hier gerne angeführt, gerne in seiner Negation in der wertenden Bezeichnung als pietätlos. Pietät hat zwei Bedeutungen, zum einen schlicht das Beerdigungsinstitut, zum anderen bezeichnet es den Respekt bzw. die taktvolle Rücksichtnahme auf die Gefühle und die religiösen Wertvorstellungen anderer. Heutzutage sind die Wertvorstellungen kaum mehr bekannt, eben weil sie in einem raschen Wandel begriffen sind. Und auch Rituale und Gesten sind fluide – das ist gut so, weil die Steifigkeit und Starrheit oft abschreckt, und es ist auch verwirrend, weil es scheints keine klaren Empfehlungen mehr gibt, wie sich zu verhalten ist.

Unter Todesanzeigen auf den Internetseiten von Lokalzeitungen kann mittlerweile eine Kerze – digital – angezündet werden. Vielleicht kann das virtuelle Kerzenanzünden verglichen werden mit dem Entzünden von Kerzen in katholischen Kirchen. Dort stehen auch teils anonyme, teils nicht-anonyme Kerzen zusammen und leuchten. Für Angehörige kann es durchaus ein Trost sein, zu wissen wie viele Menschen an ihre verstorbenen Verwandten denken. Als mir eine Freundin erzählte, dass ihre ehemalige Nachbarin, die ihr nahestand, einen Unfalltod gestorben ist, hat sie eine Kerze angezündet, bei sich zuhause, ihrem Wohnzimmer, auf ihrem Tisch. Und sie hat der Kerze zugeschaut, wie sie herunterbrennt, an die Verstorbene gedacht, nach einem Foto von ihr gesucht, einen Blumentopf zur Kerze gestellt, gedacht, erinnert, getrauert. Ich kam bei ihr vorbei, wir tranken Tee und erzählten uns von den Begegnungen mit der Verstorbenen.

Bei manchen Verstorbenen, die eine eigene Seite in den sozialen Medien hatten, füllen sich die Kommentarspalten nach ihrem Ableben noch mit Grüßen wie „Gute Reise“, R.I.P., oder was auch immer. Wer ist der Adressat dieser Gedenkseiten? Schauen sich das Angehörige an?

In der akuten Phase der Trauer haben die Angehörigen vielleicht nicht das Bedürfnis, auf den Webseiten der Verstorbenen in den Kommentaren zu schauen, wer da etwas hinterlassen hat. Daher kommt der Eintrag hier einem Verstecken nahe: bei Menschen, die einem fernstehen, mag es passend sein, und es gibt durch die sozialen Medien viele Kontakte von Menschen, die sich noch gar nicht real begegnet sind, für Menschen aus dem realen Leben erscheint es angebracht, hier einen weniger flüchtigen Gruß zu hinterlassen.

Kondolenz

Trauer ist groß, gewaltig und schwer, und zunächst unbegreiflich und schockierend. Mitgefühl, ein Mittragen des Schmerzes – con-dolore – drückt sich in Worten und persönlichen Gesten aus. Das kostet Kraft und Zeit und Mut, und ist es wert, weil so Beziehungen und Kontakte tiefer, ehrlicher und wahrhaftiger werden. Das ist die Kondolenz.

Die Floskel ‚herzliches Beileid‘ kann auch modifiziert werden in ‚mein Beileid‘ oder ‚mein aufrichtiges Beileid‘, denn unter ‚herzlich‘ verstehen manche eher ‚fröhlich‘. Auch ein „oh, das tut mir leid“ höre ich oft, da schwingt viel Hilflosigkeit mit. Und die gehört dazu, auch „mir fehlen die Worte“ ist eine weitere Floskel, und sie trifft zu. Wenn mir die Worte fehlen, dann halte ich inne, dann suche ich nach Worten, es ist ein Ringen, das gelingt nicht nebenbei. Einatmen, ausatmen und dann versuchen etwas zu sagen – in der Begegnung mit einem Angehörigen. Das ist schwer, und es ist doch möglich und es ist für die Trauernden gut, ein tröstendes Wort zu hören oder auch einfach nur die Begegnung zu spüren, das da jemand die Gegenwart mit einem trauenden Menschen aushält.

Kondolieren per WhatsApp oder über Facebook findet im Vorbeigehen statt. Hier geht es meist nicht um wahrhaftige Anteilnahme. Doch bei der Kondolenz ist nicht die Zahl der Rückmeldungen, vielmehr deren Qualität entscheidend. Und die goldene Regel, dass ich auf dem Weg, über den ich eine Nachricht erhalte, auch antworten darf, kann und darf im Fall der Kondolenz auch außer Kraft gesetzt werden.

Eine Kondolenzkarte schicken, ja, richtiges Papier und mit der Post oder selbst eingeworfen, erscheint bei Nahestehenden und auch bei plötzlich Verstorbenen angemessen.

Ich bin auf dem Dorf groß geworden, nach dem Tod meiner Mutter bekamen wir viele Karten, drauf gedruckt eine „aufrichtige Anteilnahme“, darin ein Gruß, meist nur ein Satz, eine Unterschrift und häufig auch ein Geldschein – für die Bestattungskosten oder als Spende. Gefreut haben wir Hinterbliebenen uns über Berichte von Begegnungen. Mittlerweile gibt es im Internet Hilfestellungen und Anregungen für die Formulierung. Schilderungen von persönlichen Erlebnissen und Eindrücken des verstorbenen Menschen – dabei ehrlich und wahrhaftig sein und nicht übertrieben darstellen – stellen Nähe her. In einem Podcast formuliert die junge Charlotte Schönberger, wie sie nach langen Überlegungen genau dort landet: sie setzt sich hin und schreibt einen Brief an einen ehemaligen Klassenkameraden, dessen Mutter gestorben ist. [1] So kann Nähe entstehen, Beistand und Trost wachsen. Der Tod gehört zum Leben dazu und unsere Unsicherheit im Umgang damit wird durch ein Verdrängen nur verstärkt.

Beistand für die Trauernden

Für manche mag es auch schön sein, wenn sie anteilnehmende Nachrichten auf ihrer Mailbox oder in ihrem WhatsApp Account finden. Ein Bekannter erzählte mir, dass seine Tante sehr berührt war von den vielen Nachrichten und Mitteilungen, die sie anlässlich des Todes ihrer hochbetagten Mutter – sie war 98 Jahre alt geworden – erhalten hatte, denn sie dachte, ihre Mutter sei bereits schon vergessen. So gilt es zu erspüren, was für die jeweiligen Angehörigen angemessen ist und dies mit den eigenen Bedürfnissen von Gedenken und Trost und Trauer ausdrücken in Einklang zu bringen.

Der Tod gehört zum Leben, und das Verdrängen des Todes aus der Gesellschaft wird gerne benannt. Es kann als Begründung herangezogen werden, dass die Situation des Todes verunsichert. Die Verunsicherung, die durch die Veränderung des Beziehungsgeflechts entsteht, wenn jemand stirbt, diese Verunsicherung bleibt. Personen, die eine geliebte Person verlieren, berichten, dass sich Freunde und Bekannte nicht mehr bei ihnen melden, da sie nicht wissen wie sie ‚damit‘ umgehen sollen. Sie fühlen sich dann allein gelassen und unverstanden. Dieses Gefühl gehört zur Trauer dazu. Ein guter Beistand sind Menschen in der nämlichen Situation, die etwa zeitgleich einen ähnlich nahestehenden Menschen verloren haben. Zusammen ist man weniger allein, insbesondere in der Trauer. Das zeigen Trauergruppen allemal und immer wieder. Und hier findet sich mehr Verständnis für die Fassungslosigkeit und das nicht wissen, was denn gerade gut wäre. Da sein, die anderen Mitnehmen ins Leben, können eigentlich alle. Doch gerade in dieser hilflosen Situation der Trauer zu merken, dass ich mit anderen Trauernden gut umgehen kann, soll eine Ermutigung sein, sich mit der Phase des Trauerns aktiv zu beschäftigen. Wir erleben sie doch alle einmal. Gesprächsangebote sind gut, doch nicht jeder traut sich das zu. Über soziale Medien können auch unverfängliche Gesprächsangebote gemacht werden, ein Bild aus dem eigenen Garten, eine Blume, eine schöne Landschaft, mit einem kurzen Gruß versenden, direkt an eine Person, das kann ein Kontakteinstieg sein, der dann in eine persönliche Begegnung mündet.

[1] https://www.swr.de/swr2/leben-und-gesellschaft/av-o1136951-100.html


Dr. med. Marion Hulverscheidt

Dr. med. Marion Hulverscheidt arbeitet als Medizinhistorikerin an der Universität Kassel und als Ärztin in einer Klinik vor Ort. Ferner wirkt sie als externes Mitglied im Klinischen Ethikkomittee des Klinikum Kassel.

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