Typisch deutsch – Teller abessen

von | 14.08.2021 | Speisen, Essen, Typisch deutsch, Tischkultur, Knigge, Gesellschaft

„Du willst doch, dass die Sonne scheint, dann esse Dein Teller ab!“.

Foto: Shutterstock

Diese Aussage haben Millionen von Kindern in Deutschland von ihren Eltern und Großeltern gehört. Immer wieder wird in den Knigge-Trainings gefragt, ob man etwas auf dem Teller lassen dürfe.

Natürlich müssen wir heute nicht mehr alles aufessen. Wenn wir uns am Buffet bedienen, empfiehlt es sich ohnehin weniger auf den Teller zu laden und lieber ein weiteres Mal zu gehen. Innerhalb einer Menüfolge, wenn serviert wird, sind die Portionen vorgegeben. Aber auch hier muss heute niemand mehr alles was auf dem Teller angerichtet ist, aufessen.

Warum machen wir in Deutschland dies überhaupt zum Thema? Vielleicht hat es damit zu tun, dass in unserem Land immer noch Menschen leben, die sich noch an eine schlechte Zeit erinnern. In der Mitte des europäischen Kontinents gab es – seit Menschen Geschichte aufschreiben – noch nie so eine lange Friedens- und Wohlstandsperiode wie aktuell. Während des letzten Weltkrieges und vor allem danach haben viele Menschen gehungert. So war es abwegig in den 1950er Jahren, als es dann wieder Lebensmittel in Deutschland gab, diese zu verschwenden.

Wir sind nun mal das Ergebnis unserer Geschichte. Und deshalb gibt auch die Generation, die in diese Wirtschaftswunder-Jahre hineingeboren wurden, diesen Spruch: „Du willst doch, dass die Sonne scheint. …“ an ihre eigenen Kinder weiter. wenn es hilft, dass Lebensmittel nicht verschwendet werden, ist dies sicher eine gute Idee.

Mit schönem Wetter hat das allerdings nichts zu tun. Meine persönliche Erfahrung zu diesem Thema hatte ich auf Taiwan. Dort war ich zu Gast und meine Gastgeber haben mich zum Mittagessen bereits überschüttet mit Köstlichkeiten. Ich konnte und wollte mir am dritten Tag diese nicht enden wollende Überhäufung von Essen für die nächsten drei Wochen nicht mehr vorstellen. So machte ich diese vielen Speisen, die sich am Abend erneut wiederholten, zum Thema.

Meine Sorge, dass ich die aufgetragenen Mengen nicht schaffen kann, stand der taiwanesischen Gastfreundschaft als große Sorge im Gesicht. Nämlich, dass ich nicht satt werde. Abessen heißt in Südostasien, das man gerne noch etwas Nachschlag haben möchte. Meine Gastgeber hatten sich schon überlegt, wie sie die nächsten Wochen finanziell überstehen sollen.

Nachdem ich erklärt habe, dass es typisch deutsch ist, den Teller abzuessen, waren die Irritationen vom Tisch. Bei dieser Gelegenheit konnte ich eine weitere Typisch deutsche Sache zur Sprache bringen: Getrennt bezahlen. Was in Taiwan – wie in vielen Regionen weltweit unmöglich ist – haben wir dann so gelöst, dass wir uns abgewechselt haben.

Fazit: Reden hilft und wenn man darüber lachen kann, bedarf es keine weiteren Worte.


Michael Kugel

Michael Kugel hatte zunächst eine gastronomisch geprägte Laufbahn bevor er Weinexperte wurde. Stets den “Guten Geschmack” im Gepäck verschlug es ihn weltweit in die unterschiedlichsten Regionen, wo jede seiner Aufgaben eng mit der stilvollen Seite des Essens und Trinkens verbunden war. Der freiberufliche Knigge-Berater ist Kenner der Dienstleistungsbranche und stellt ein einmaliger Mix an Wissen und Erfahrung auch in seinen Trainings zur Verfügung. 

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