Integration bedeutet zuallererst: verstehen und verstanden werden. Dabei können wir Flüchtlingen und Asylbewerbern helfen. Einfach, indem wir uns einfacher ausdrücken als gewohnt .
Als Europäer haben wir fast vergessen, wie es sich anfühlt, nichts zu verstehen und nicht verstanden zu werden. Wir teilen die gleiche Schrift, dank enger Sprachverwandtschaften kann man sich manches erschließen, und auch wenn man nicht Spanisch oder Schwedisch spricht – Englisch geht fast immer.
Nach der Willkommenskultur kommt die Sprachkultur
Die Migranten, die jetzt zu uns kommen, haben diesen Vorzug nicht. Im Knigge-Rat sind wir deshalb zu dem Schluss gekommen: Auf die Willkommenskultur folgt die Sprachkultur.
Denn Kommunikation ist eine Zwei-Bahn-Straße: Natürlich müssen Migranten dringend Deutsch lernen. Doch um eine Arbeitsanweisung oder einen Behördenbrief zu verstehen, braucht es oft mehr als ein paar Monate Integrationskurs. Zu einem wertschätzenden Miteinander gehört es deshalb, dass wir Nicht-Muttersprachlern die Kommunikation mit uns gezielt erleichtern.
Einfach gut kommunizieren
Das Mittel für das sprachliche Entgegenkommen gibt es bereits. Es heißt Einfache Sprache und hilft Migranten, schnell mit uns ins Gespräch zu kommen. Hier sind die 9 wichtigsten Regeln:
1) Im Gespräch mit Nicht-Muttersprachlern werden häufig Endungen, Artikel und Präpositionen weggelassen. Besser: Bilden Sie kurze, aber korrekte Hauptsätze. Also nicht: „Machst du Farbe, dann Pause.“ Sondern: „Bitte rühren Sie die Farbe an. Dann haben Sie Pause.“
2) Sprechen Sie etwas langsamer und deutlicher, aber keinesfalls lauter als normal. Nehmen sie die Gegenstände, von denen die Rede ist, in die Hand, oder deuten sie darauf.
3) Einfache Sprache ist keine Kindersprache. Verwenden Sie die Anreden „Du“ und „Sie“ wie in der Standardsprache.
4) Achten Sie darauf, wie gut Ihr Gesprächspartner schon Deutsch kann. Knüpfen Sie an sein Niveau an und vereinfachen Sie nur, wo es nötig ist. Sucht Ihr Gegenüber nach der korrekten Grammatik? Dann ist es nicht nur frustrierend, sondern auch stigmatisierend, wenn er von Ihnen Sätze hört wie: „Du gestern Fußball geschaut?“
5) Verzichten Sie auf Modalverben wie „Sie sollten, Sie könnten oder Es wäre gut, wenn …
6) Vermeiden Sie einen belehrenden Ton und setzen Sie bitte und danke noch häufiger ein als sonst. Warum? In der einfachen Sprache entfallen Höflichkeitsformen wie „Würden Sie …“ und Relativierungen wie „Ich weiß, das ist kurzfristig …“.
7) Hören Sie geduldig zu. Widerstehen Sie der Versuchung, Sätze zu vollenden. Wer Deutsch erst lernt, braucht länger als ein Muttersprachler, die Gedanken in Worte zu fassen.
8) Unauffälliges Korrigieren beschleunigt den Spracherwerb und die Integration. Statt Fehler zu kommentieren, wiederholen Sie einfach das Gesagte in der grammatikalisch korrekten Form.
A: Heute Martin schreiben die Protokoll
B: Perfekt, heute schreibt Martin das Protokoll.
9) Spricht jemand überhaupt kein Deutsch, hilft die non-verbale Kommunikation weiter. Geben Sie dem Reden mit Händen und Füßen eine spielerische Note. Wenn die Worte fehlen, gewinnen Lächeln und Herzlichkeit noch mehr an Bedeutung als sonst.
Wenn Ihnen einfache Sprache schwer fällt, hat dies einen guten Grund: Sie ist schwer
Es ist anspruchsvoll, automatisierte Gesprächsroutinen zu durchbrechen. Einfache Sprache erfordert daher viel Geduld und Kreativität. Der Aufwand lohnt sich aber: Das Bemühen um ein einfaches Deutsch spart Zeit und Missverständnisse – und ist gelebte Willkommenskultur.
Leichte Sprache und Einfache Sprache: Die feinen Unterschiede
Neben der Einfachen Sprache gibt es noch die strenger reglementierte Leichte Sprache. Die Leichte Sprache wurde vor allem für Menschen mit kognitiven Behinderungen konzipiert. In ihrer Schriftform weist sie Eigenheiten auf wie Trennstriche in zusammengesetzten Wörtern und zusätzliche Zeilenumbrüche. Die Einfache Sprache ist dagegen eine korrekte Alltagssprache und wendet sich an Menschen mit einer anderen Muttersprache als Deutsch. Aber auch Muttersprachler, die wenig lesen oder Informationen einfach schnell aufnehmen möchten, profitieren davon.
Buchtipp:
Doris Märtin – Smart Talk. Sag es richtig!
Campus Verlag, 299 Seiten
ISBN 978-3593399430
„Ein kluger Gesprächstrainer“ Gehirn & Geist