Einen Brief von Hand schreiben

von | 11.02.2023 | Allgemein, Werte, Kommunikation, Gesellschaft, Digitalisierung

Wir kommunizieren ständig

Am 23. Januar jeden Jahres ist der „Nationaltag der Handschrift“. Dass es solch einen Tag gibt, wusste ich bisher nicht. Durch einen Beitrag in unserer Regionalzeitung  wurde ich überhaupt erst darauf aufmerksam. Da wurde beklagt, dass immer weniger Wert auf die Handschrift gelegt werde. Schülerinnen und Schüler würden schon früh im Umgang mit ihrem Notebook geschult. Sie könnten unglaublich schnell mit der Tastatur umgehen. Aber mit der Hand zu schreiben, würden sie vernachlässigen oder gar nicht mehr richtig können.

 

Foto: Shutterstock

 

Es stimmt: Einen längeren Text zu schreiben, das geht am PC viel besser. Ich kann jederzeit alles korrigieren, ohne dass es später auffällt. Ich kann Wörter, Sätze oder ganze Abschnitte einfügen. Und am Schluss formatiere ich den Text so, wie ich will oder wie es der Verlag haben möchte. Alles ganz einfach!

Nicht nur bei längeren Texten ist das so. Twitter oder Whatsapp erlauben es uns, schnell und völlig unkompliziert Nachrichten zu versenden. Die Autokorrektur verhindert die meisten Rechtschreibefehler. Ich muss mich nur noch um den kurzen Inhalt der Nachricht kümmern. Und dann ist sie auch schon weg …

Es wird nicht weniger geschrieben. Manchmal habe ich sogar den Eindruck, dass mehr geschrieben wird als früher. Denn auch ich ertappe mich dabei, wie ich Nachricht auf Nachricht oder Mail auf Mail versende. Nur schreiben wir eben anders: Die Hälfte der Glückwünsche zu meinem Geburtstag kam diesmal als Email oder über Whatsapp – oft versehen mit fröhlichen Emojis. Ich bin überzeugt, daran werde ich mich gewöhnen müssen. Von Jahr zu Jahr mehr.

 

Ausdruck von Individualität

Aber mal ganz ehrlich: Wann haben Sie zuletzt einen längeren Brief oder zumindest eine Postkarte mit der Hand geschrieben? Einen kleinen Gruß, eine Gratulation zu einem fröhlichen Anlass, einen Trauerbrief, der die Anteilnahme am Tod eines Menschen ausdrückt – oder vielleicht sogar einen Liebesbrief.

Obwohl heutzutage alles einfacher, schneller und preiswerter geht, gehöre ich weiterhin zu den Menschen, die gern mit der Hand schreiben. Ziemlich regelmäßig schreibe ich zum Beispiel Postkarten von unterwegs, selbst auf die Gefahr hin, dass sie – wie in diesem Jahr aus dem wunderschönen Bulgarien – Monate brauchen, um in Deutschland anzukommen. Da steht dann nichts unbedingt Weltbewegendes drauf. Aber ich empfinde es als Zeichen besonderer Wertschätzung gegenüber allen, denen ich schreibe, dass ich mir dafür Zeit nehme und womöglich auch noch eine schöne Briefmarke aussuche. Und ebenso freut es mich, wenn ich einen Brief oder eine Karte erhalte, die von Hand geschrieben sind. Manchmal erkenne ich schon bei der handschriflichen Adresse, wer der Absender ist.

Denn die eigene Handschrift ist etwas Unverwechselbares. Wir alle schreiben anders. Die Handschrift ist so individuell wie ein Fingerabdruck. Sie hat sich im Lauf unseres Lebens so entwickelt, wie sie ist. Aber sie war von Anfang an meine. Sie ist einzigartig geblieben. Und darum ist auch jeder Brief, jede Karte, von Hand geschrieben, einzigartig. Die Handschrift gibt dem, was ich ausdrücken will, eine viel persönlichere Note als eine schnell getippte Nachricht. Manche handgeschriebenen Briefe – ganz gleich, ob leserlich oder eher schwer zu entziffern – hebe ich mir als Erinnerungsstücke auf. Sie gewinnen eine geradezu sentimentale Bedeutung. Ähnlich wie Fotoalben.

 

Entschleunigung

Zugestanden: Wenn ich mit der Hand schreibe, muss ich mich mehr konzentrieren. Ich kann nicht dauernd wie auf einem Konzeptblatt wirr herumstreichen. Alles beginnt damit, dass ich mir mein Gegenüber leibhaftig vorstelle. Meine Sätze entstehen dann allmählich im Kopf oder – noch viel schöner – im Herzen. Jetzt erst fließen sie, einer nach dem anderen, durch die Hand aufs Papier. Die Bewegung meiner Schriftzüge verbindet mich mit dem Menschen, dem ich gerade schreibe, noch bevor er oder sie den Brief erhält.

Gerade in unserer schnelllebigen Zeit, in der die digitale Kommunikation stetig präsenter wird, ist es immer noch etwas ganz Besonderes, mit anderen Menschen in Beziehung zu treten, indem ich ihnen einen Brief oder eine Karte mit der Hand schreibe. Dazu brauche ich dann auch keinen äußeren Anstoß durch den „Nationaltag der Handschrift“. Denn es ist eine Herzenshaltung!

Versuchen Sie es mal wieder. Es kann richtig glücklich machen.

 

P.S.

Und ja: Eigentlich hätte ich diesen Beitrag von Hand schreiben sollen!

 


Prof. Dr. Martin Hein

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