Brauchen wir einen „Demokratie – Knigge“?

von | 11.06.2022 | Allgemein

Parteiverdrossenheit, Politikverdrossenheit und nun Demokratieverdrossenheit? Für viele ist das der Preis von einem freiheitlichen Leben in einer der individualisiertesten Gesellschaften dieser Welt oder auch nur eine logische Folge von Wohlstand einer Konsumgesellschaft. Kommt als nächstes die Geschichtsverdrossenheit?

Bild: Shutterstock

 

Nun, die Pandemie macht nicht nur deutlich, wie verletzlich wir sind, sondern dass das Leben in Freiheit neben aller Selbstverständlichkeit und Annehmlichkeiten auch Ängste schürt und eine Gesellschaft spaltet – letztlich auch am oder durch den Zweifel, ob die Demokratie geeignet sei, eine Pandemie zu meistern. Zumindest glaubten dies Ende 2021 rund 44 % der befragten Bürger:innen, die von der deutschen Nationalstiftung dazu befragt worden sind.

Das Ergebnis lässt vermuten, dass der feste Glaube an die Demokratie erst durch die Pandemie ins Wanken kam. Jedoch scheint die Krise nur der Auslöser dafür zu sein, dass in den Lockdowns in unserem Unterbewusstsein tief Vergrabenes genug Zeit hatte, ans Licht zu gelangen. Das könnte eine Erklärung dafür sein, dass langjährige Freundschaften durch die Spaltung der Gesellschaft leiden oder gar zerbrochen sind.

In der DIE ZEIT (Nr. 2) führte der Journalist Jochen Bittner ein Interview mit der erfolgreichen Autorin Juli Zeh. Dabei ging es auch darum, ob der Zutrauensschwund der Bürger:innen an ihren Staat nicht auch mit einer ziemlich hohen Erwartungshaltung zu tun haben könnte. Der Vergleich mit dem „Amazon-Prinzip“ war dabei treffend. Der Staat habe gefälligst „ruckzuck“ alle Dinge zu liefern, die JETZT gewünscht sind. Vom Impfstoff über Soforthilfe bis Sofort-Klimaschutz.

Sicherlich haben die Vertreter unseres Rechtsstaats ein Kommunikationsproblem. Selbst bei vernünftigen Bürger:innen schwindet die Akzeptanz für gut gemeinte Maßnahmen und geöffnete Türen für Alternativen. Einen Vertrauensverlust erfahren (laut Meinungsforschungsinstitut Forsa) zudem viele andere Einrichtungen und Institutionen, allen voran die katholische Kirche.

 

Ist das wirklich eine Einbahnstraße, wo bleibt die Bringschuld?

Nicht wenige Menschen sind der Meinung, es sei ausreichend, seine Steuern zu zahlen. Wie bei einem Automaten: 5 Euro oben rein und den Gegenwert sofort unten ziehen. So funktioniert Staat nicht.

„Frage nicht, was dein Land für dich tun kann – frage, was du für dein Land tun kannst.“ Einer der berühmtesten Sätze John F. Kennedys. Auch wenn der frühere US-Präsident dieses Zitat geklaut hat, steckt nicht weniger Bedeutung darin.

Der Eindruck (so in dem DIE ZEIT-Interview), dass das politische Selbstverständnis einer Art Konsumentenhaltung weicht, liegt auf der Hand. Die Demokratie bietet in unserem Land unzählige Möglichkeiten, sich einzubringen und teilzuhaben. Viele Menschen äußern sogar den Wunsch teilhaben zu wollen. Doch die Werkzeuge, mit denen man sich aktiv an der Demokratie beteiligen kann, werden nicht benutzt. Stattdessen verwechseln viele diesen Wunsch mit Wunscherfüllung. So Jochen Bittner.

Juli Zeh meinte, wer als Individuum dem Staat gegenübersteht, sieht sich nicht mehr als Souverän. Wie im persönlichen Alltag, so ist man auch mit dem Staat sauer, wenn Dinge nicht klappen und Bedürfnisse unerfüllt bleiben.

 

Was soll man also den Verantwortlichen in Staat und Politik raten?

Solange Algorithmen unmoralische und unethische Posts mit höheren Klickzahlen belohnen, ist es schwer, öffentlich und offen überhaupt etwas zu sagen. Häme und Hass scheinen spannender zu sein als seriöse und wertschätzende Informationen. Unserer Währung „Aufmerksamkeit“ lässt sich für Kritik und Empörung leichter ausgeben als für Lob und Wohlwollen. Dies fördert bei den Verantwortlichen im Staat umso mehr das Lavieren um Lösungsvorschläge. Die Folge: unkonkrete Antworten.

Die Angst vor einem Shitstorm führt offensichtlich dazu, dass sich kaum noch jemand traut, über gute und tragfähige Lösungen zu sprechen. Die Sorge, dass das Individuum sofort losschreit, ist berechtigt. Soll das Geschrei geringer ausfallen, wird (etwas gefahrloser) der Mainstream bedient. Das ist sehr kurz gedacht, denn wer es allen und jedem Recht machen möchte, vergibt sich die Chance für ein kluges Handeln mit langem Atem. Durchhaltevermögen für lange Zeiträume wäre besser.

Weil das Gute viel weniger gesagt und gehört wird, werden von den Medien die populistischen und polemischen Meldungen gebracht, die sich zudem auch gut verkaufen lassen. Wir Bürger:innen sollten das wissen und in unserer Meinungsbildung mit berücksichtigen.

Ein verantwortliches Vorgehen in einem Staatswesen wäre nicht jedem Tagestrend nachzugeben, sondern Orientierung durch Langfristigkeit und Verlässlichkeit zu geben. Juli Zeh fände es z. B. gut, wenn Politiker sich von Twitter & Co. fernhalten. Dem kann man nur beipflichten.

 

Was wünschten wir uns von der Politik?

  • Weniger Kurzlebigkeit, sondern mehr Ausdauer und Verlässlichkeit.
  • Weniger Floskeln und Worthülsen, sondern mehr Konkretheit und Klarheit.
  • Weniger Mutlosigkeit, sondern mehr Ehrlichkeit (auch beim Eingestehen von Fehlern).
  • Weniger Geschrei und Gezanke, sondern mehr Sach- und Fachverstand.

Wir sollten uns aber auch darüber im Klaren sein, dass wir – als Souverän – ein besseres Verhalten belohnen können. Nicht immer nur dagegen sein, Schimpfen und am Ende meinen, die Dinge selbst in die Hand nehmen zu müssen.

Juli Zeh ist der Meinung, dass wir alle besser sind, als es die Fast-Food-Moral vorgibt. Wir alle sind klüger, höflicher, gesitteter und interessierter. Wir dürfen gerne Mal kurz innehalten und überlegen, ob wir immer gleich sofort unserem Unmut Luft machen müssen.

 

Wie gelingt es das WIR der Gemeinschaft zu stärken?

Besinnen wir uns auf uns, und unsere Geschichte. 1. Jeder Mensch hat ein tiefes Bedürfnis, in Frieden und Wohlstand zu leben. 2. Demokratie ist noch nie einfach gewesen, dabei muss man auch viel aushalten können, Bürger ebenso wie Verantwortliche des Staats. Wir, sprich unser Land, haben aber schon so viel geschafft. Es sollte jede:r ein Interesse haben, dass unsere Gesellschaft an den unterschiedlichen Meinungen nicht zerbricht.

Zurückhaltung kann manchmal helfen und schafft die Basis für ein aktives Zuhören, gepaart mit dem Versuch, den anderen zu verstehen. Demokratie kann und muss das aushalten. Das hohe Gut Frieden und Wohlstand sind sonst in Gefahr, das sollten alle bedenken. Darum ist es lohnenswert, sich für beides starkzumachen.

Und eines ist sicher, verglichen mit einem Großteil dieser Welt, sind wir immer noch auf einem Flecken Erde, für den wir weltweit sehr beneidet werden. Wer will in globalen Krisen wirklich wo anders sein, als in unserem Land?


Michael Kugel

Michael Kugel hatte zunächst eine gastronomisch geprägte Laufbahn bevor er Weinexperte wurde. Stets den “Guten Geschmack” im Gepäck verschlug es ihn weltweit in die unterschiedlichsten Regionen, wo jede seiner Aufgaben eng mit der stilvollen Seite des Essens und Trinkens verbunden war. Der freiberufliche Knigge-Berater ist Kenner der Dienstleistungsbranche und stellt ein einmaliger Mix an Wissen und Erfahrung auch in seinen Trainings zur Verfügung. 

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