Analogital: Mit analogen und digitalen Kompetenzen fit in die Zukunft!

von | 13.05.2023 | Ethik, Gesellschaft, Digitalisierung, Umgangsformen, Allgemein, Werte, Knigge, Kommunikation

Moderne Umgangsformen mit uns selbst und unserem digitalen Konsum

 

Bild: Shutterstock

 

Endlich ist der stressige Arbeitstag zu Ende. Lukas lässt sich in seiner Wohnung erschöpft in den neuen Lounge Chair fallen. Fasziniert wischt er zum Entspannen durch die neuen Instagramm-Storys, im Jargon auch als Swypen bekannt. Dieses Mal wird er von dieser erfolgreichen Fashionbloggerin und von Carlos in den Bann gezogen, dem digitalen Nomaden, der die ganze Welt bereist und dessen Berichte ihn faszinieren. Noch schnell ein paar Nachrichten beantworten, der Familie im entfernten Norden ein Selfie senden – und schon sind aus wenigen Minuten eineinhalb Stunden geworden. „Wie die Zeit vergeht!“, denkt Lukas, während er das Smartphone zur Seite legt. Gerade noch unterwegs in der aufregenden und pulsierenden Online-Welt, nimmt er mit dem Verblassen des Displays auf einmal wahr, dass er ganz alleine in seiner Wohnung sitzt-, und ihn überkommt, unerwartet und plötzlich, ein tiefes Gefühl von Einsamkeit.

Chancen der Digitalisierung

In unserer digitalen Welt ist es einfacher denn je, mit anderen Menschen in Kontakt zu treten: Wir haben Zugang zu einer Fülle von digitalen Möglichkeiten, die unser Leben in vielfacher Hinsicht erleichtern und bereichern. Wir schätzen diese Vorteile sehr und möchten sie nicht mehr missen.

Um nur zwei zu nennen: Soziale Medien und Messaging Dienste ermöglichen uns, Verbindungen zu knüpfen und Informationen im großen Radius zu (ver-)teilen. Sie fördern den Austausch von Wissen, die Zusammenarbeit und den Dialog über geografische und kulturelle Grenzen hinweg. Gerade während der verrückten Covid-Jahre waren die virtuellen Interaktionen ein Segen, um Kontakte zu pflegen und einander Mut zu machen.

Auch die Welt des Lernens wandelt sich zunehmend. Online-Lernplattformen haben den Zugang zur Bildung revolutioniert und sind eine innovative Möglichkeit, Bildung und Wissen leichter verfügbar zu machen. Sie bieten eine Vielzahl von Kursen, Tutorials und praktischen Anleitungen, die jederzeit und überall verfügbar sind. Diese Plattformen sind ein bedeutender Schritt in der Bildungstechnologie, die es Menschen auf der ganzen Welt ermöglicht, ihr Wissen und ihre Fähigkeiten zu verbessern und sich weiterzubilden.

Neben den vielen guten und nützlichen Möglichkeiten stellt uns die zunehmende Digitalisierung jedoch auch vor neue Herausforderungen. Ich möchte drei Trends aufgreifen, durch die wir angehalten sind, unsere Art des wertschätzenden und respektvollen Umgangs miteinander neu zu denken, aber auch bestehenden Werten wieder neues Leben einzuhauchen.

 

Verbundenheit statt Einsamkeit

Eine Entwicklung, die langsam mehr öffentliche Aufmerksamkeit erfährt, ist der Effekt der zunehmenden Einsamkeit – und das, obwohl wir Menschheit noch nie so gut miteinander vernetzt waren wie heute. Gefördert durch die zunehmende Zahl der Single-Haushalte, können wir ruhig von einem Breiten-Trend sprechen.

Einsamkeit ist per Definition die wahrgenommene Diskrepanz zwischen den gewünschten und den tatsächlichen sozialen Beziehungen. Sie ist unabhängig von Alter, Geschlecht und sozialem Status. Für die Betroffenen ist es das schmerzhafte Erleben von fehlender Verbundenheit und darf nicht mit sozialer Isolation (Alleinsein) verwechselt werden. Forscher haben in einer Studie herausgefunden, dass Menschen, die mehr Zeit auf sozialen Medien verbrachten, ein höheres Risiko hatten, sich sozial isoliert und einsam zu fühlen.

Kennen Sie diese Situationen wie zu Beginn im Beispiel von Lukas beschrieben? Man scrollt Stunden durch Profile und verliert sich im Leben anderer anstatt die eigene Realität im Hier und Jetzt zu erleben. Dabei wird man ununterbrochen mit Bildern aus dem perfekten Leben glücklicher Menschen bombardiert. Im Vergleich mit dem eigenen, scheinbar langweiligeren Dasein, sind Frustration und das Gefühl von Minderwertigkeit fast vorprogrammiert. Auch das Aufbauen von authentischen Offline-Beziehungen kann dadurch beeinflusst und erschwert werden. Gerade die jüngere Generation ist hiervon stärker betroffen.

Ich möchte uns ermutigen, im digitalen Kosmos öfters mal den Flugmodus einzuschalten und den Wert des Offline-Lebens mit anderen Menschen zu feiern und zu zelebrieren. Wie wäre es mit folgenden Anregungen:

  • Laden Sie doch wieder einmal Freunde zu einem Spiele- oder Weinabend ein anstatt gleich mit der nächsten Netflix-Staffel zu beginnen.
  • Pflegen Sie Ihre Beziehungen aktiv und lernen Sie bei einem neuen Hobby, das Ihnen echt Spaß macht, interessante Menschen kennen. Denn Leidenschaft verbindet. Und Lachen auch.
  • Nehmen Sie sich, gerade nach den Covid-Jahren, die durch Social Distancing und Berührungsarmut gekennzeichnet waren, wieder mehr in die Arme und pflegen Sie körperliche Berührungen.
  • Versuchen Sie mit offenen Herzen auf Menschen aus sogenannten Randgruppen zuzugehen oder sich in einem Ehrenamt zu engagieren. Das weitet den Blick.

Verletzlichkeit statt Oberflächlichkeit

Im digitalen Raum neigen wir häufig dazu, unsere wahren Gedanken und Gefühle hinter einem Schutzschild der Oberflächlichkeit zu verstecken. Wir interagieren zwar mit einer Vielzahl von Menschen, aber unsere Verbindungen bleiben meist an der Oberfläche. Die tiefen und bedeutsamen Beziehungen, die durch ehrlichen Austausch entstehen können und die Kraft haben, uns wirklich zu berühren, sind seltener geworden. In der Online-Welt beschränken wir uns oft auf das Teilen von Fotos oder kurzer Status-Updates, ohne uns wirklich zu öffnen. Tiefe Verbundenheit entsteht aber erst dann, wenn wir bereit sind auch unsere Schwächen zu zeigen und Verletzlichkeit zuzulassen.

Wann haben Sie das letzte Mal mit einem guten Freund oder einer guten Freundin offen und ehrlich über Ihre Gefühle, persönliche Herausforderungen oder innere Ängste gesprochen?

 

Meinungspluralismus statt Meinungsblase

Der Bestseller-Autor Johannes Hartl zitiert in seinem Buch „Eden Culture“ (Herder Verlag) den in Berlin lebenden koreanischen Philosophen Byung-Chul Han: „Wegen der Effizienz und Bequemlichkeit der digitalen Kommunikation meiden wir zunehmend den direkten Kontakt mit realen Personen, ja den Kontakt mit dem Realen überhaupt.“ Weiter schreibt Hartl: „Im digitalen Raum servieren die Algorithmen uns genau das, was wir sehen wollen. Bestehende Meinungen werden verfestigt, die Realität außerhalb der eigenen Filterblase verdunkelt. Die Fähigkeit, sich auf etwas Neues, Fremdes einzulassen, nimmt dadurch ab.”

Ich möchte uns Mut machen, die eigenen Sichtweisen und Meinungen, im Ringen um die Wahrheit, immer wieder kritisch zu reflektieren und den Wert einer respektvollen und wertschätzenden Debattenkultur neu zu entdecken.

 

Analogital-Kompetenz

Der Megatrend der Digitalisierung wird die kommenden Jahre weiter Fahrt aufnehmen. Eine wichtige Schlüsselfähigkeit der Zukunft wird entsprechend die Analogital-Kompetenz sein. Sie beschreibt die Fähigkeit, eine gesunde Balance zwischen den unterschiedlichen Möglichkeiten der realen Welt und dem digitalen Kosmos zu leben. Eine kritische Auseinandersetzung, das Verständnis und die Fertigkeit, wie man Technologie effektiv nutzen kann, sind dabei unabdingbar notwendig, um die menschliche Dimension nicht aus dem Auge zu verlieren. Soziale Netzwerke sind beispielsweise eine wundervolle Ergänzung, können jedoch niemals ein Ersatz für zwischenmenschliche Beziehungen sein.

 

Welche Chancen und neue Herausforderungen nehmen Sie beim Megatrend Digitalisierung wahr? Welchen Einfluss haben sie aus Ihrer Sicht auf unsere Umgangsformen und Werte?

Ich bin gespannt auf Ihre Meinung,

Ihr Jonathan Lösel


Jonathan Lösel

Jonathan Lösel ist Vorsitzender des Deutschen Knigge-Rats und neben seiner Projektleitertätigkeit als Knigge- und Stil-Coach tätig.

Als moderner Gentleman unterstützt er Menschen dabei, ihren persönlichen Kleidungsstil zu entdecken und ihr Auftreten durch zeitgemäße Umgangsformen zu unterstreichen, sodass sie dauerhaft im Gedächtnis bleiben.

Bleiben Sie auf dem Laufenden.

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